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Die totale Klatsche, oder: Die Grenzen des Budgetrechts

Der erste vom SPD-Landesfinanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans zu verantwortende Haushalt, der Nachtragshaushalt, ist vom Verfassungsgerichtshof NRW am 15. März 2011 für verfassungswidrig erklärt worden. Die nach der mündlichen Urteilsbegründung erstellte Pressemitteilung gibt die Argumente des Gericht wieder. Sie lesen sich wie ein vollständige Klatsche für die rot-grüne Landesregierung. Da versteht jemand sein Handwerk nicht. Es handelt sich nicht um einen Verstoß, sondern um gleich mehrere gravierende Verstöße.

Letztlich haben der SPD-Finanzminister und der Gerichtshof auch Rechtsgeschichte geschrieben, Verfassungsrechtsgeschichte. Auch zukünftige Landesregierungen und Landtage werden sich an den jetzt klar definierten Regeln orientieren müssen. Damit ist auch klar, dass die Feststellung des gestörten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kein Gummiparagraph ist, der beliebig angewendet kann. Nur diese Feststellung erlaubt eine Überschreitung der Kreditgrenze. Ich empfehle zum einen die Lektüre der Pressemitteilung. Die Argumente aber hier dennoch aufgedröselt, denn das wird sich auch in anderen Bundesländern angewendet werden können:

1. Die derzeitige weiche Kreditgrenze der Landesverfassung daf zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überschritten werden. Aber auch nur für diese! Eine Störung des Gleichgewichts liegt vor, wenn das Gleichgewicht der konkurrierenden Ziele Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, Außenhandelsgleichgewicht und langsames, stetiges Wirtschaftswachstum gestört.
Das hatte ich im Januar in meinem Beitrag „NRW-Haushalt: Das magische Viereck schlägt zurück“ dargelegt. Daher auch diese Grafik:
Ziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts

2. Bemerkenswert bezüglich des Bewertungsspielraum für den Landesgesetzgeber finde ich die Feststellung, dass die Störung „ernsthaft und nachhaltig“ sein müsse. Diese sei im Gesetzgebungsverfahren mit einem gebürtigen Ermessensspielraum zu begründen. Eine Begründung später vor Gericht kommt also zum Beispiel nicht in Frage.

3. Die über die Kreditgrenze hinaus gehende Kreditaufnahme müsse für die Abwehr eben dieser Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verwendet werden. Hier kommen die Worte „geeignet“ und „final“ vor. Also nicht so einfach ein paar Geschenke machen und dann sagen, dass diene der Ankurbelung der Nachfrage oder so.

4. Zudem müsse bei einem Nachtragshaushalt auch eine neue Auseinandersetzung mit der Ist-Situation her, die die Erhöhung der Kreditermächtigung rechtfertige. Auch müsse dargelegt werden, dass die Erhöhung mit entsprechender Verwendung geeignet sei, konjunkturelle wirksam zu werden. Bei einem kurz vor Weihnachten verabschiedeten un dazu in Kraft getretenen Haushalt muss dies bezweifelt werden. Zwar kann meiner Erfahrung nach noch Geld schnell überweisen werden, so zum Beispiel an die Kommune. Wie sollen diese aber das Geld noch per Auftragsvergabe etc. im gerade zu Ende gehenden Haushaltsjahr ausgeben können. Da ist nichts mit konjunktureller Wirksamkeit mehr zum Jahresende.

Und daher erklärt die Pressemitteilung das Urteil knapp mit: Diesen Anforderungen habe der Gesetzgeber nicht genügt. Folglich ist der Nachtragshaushalt verfassungswidrig.

Man kann noch 5. hinzufügen, wobei die konkrete Norm nicht mehr geprüft wurde, da die vorherigen Anforderungen ja eh schon nicht erfüllt sind und der Haushalt verfassungswidrig ist: Das Wirtschaftlichkeitsgebot. Ungefähr so, mal als Frage: Ist es wirtschaftlich zur Risikoabsicherung der (ehemaligen) Landesbank WestLB Kredite aufzunehmen, damit diese dann ein Polster hat. Da fallen beim Land ja unnötig Zinsen an.

Und was heißt das für den Haushalt 2011?

i. Da werden ein paar findige Experten sich mal versuchen müssen, eine ordentliche Begründung finden müssen, warum das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört sei im Frühjahr 2011. Verweise auf Daten aus USA und Japan sollen da mal wenig helfen. Die Störung soll ernsthaft und nachhaltig sein. Das kann schwer sein bis unmöglich.

ii. Und dann müssen die zusätzlichen Mittel auch noch geeignet verwendet werden, um diese Störung abzuwenden. Mehrausgaben für gestrichene Studienbeiträge, Kulturrucksäcke usw. wird schwerlich der Mantel der Störungsabwehr umzuhängen sein. Zudem wäre die Frage aufgeworden, ob die Störungsabwehr nicht auch im Sinne des Wirtschaftslichkeitsgebots preiswerter zu haben sein. Bezüglich der „finalen“ Wirksamkeit der Störungsabwehr habe ich Zweifel, ob sich dass über das Argument „Prävention“ im Sinne von Hannelore Kraft erklären ließen. Sie gibt ja vor, Gelder für Kinder ausgeben zu wollen, um dann später Sozialausgaben zu sparen. Ein moralisch sehr redlicher Ansatz, aber schwer in finanziellen Kausalzusammenhang zu bringen.

iii. Machbar halte ich ansatzweise eine Umschichtung: Ausweisen von instrumentell geeigneten Maßnahmen zur Störungsabwehr im Haushalt um aus anderen Bereichen die vermeintlichen Geschenke zu finanzieren. Dies könnte auch nur eine Umgehung werden, was auch nicht helfen würde. Aber wie solle dann das Mehr, dass dann aus weniger Weniger bestünde, rechterfertig weren. Es wird spekulativ, was Borjans einfallen könnte. Sparen wären ein Möglichkeit, aber wie will er das mit der Linken hinkriegen.

Wir werden sehen. Auf die Neuwahldebatte gehe ich hier nicht ein. Laut Oliver Wittke sind sie heute wahrscheinlicher geworden, schreibt DerWesten in „Urteil schockt den NRW-Finanzminister“


Das Foto hat mir Henrik Bröckelmann geschickt, der bei der Urteilsverkündung live dabei war.

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