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Nordrhein-Westfalen

Vertretungslehrer NRW: Weiterhin prekäre Arbeitssituation

Leere Schule

Die Praxis der Einstellung und Stellung von Vertretungslehrern in Nordrhein-Westfalen hat sich spätestens im Verlauf des Jahres 2014 stark verschlechtert. Bei dem im Online-System VERENA angebotenen Stellen müssen noch stärker die Chancen von Lehrern mit 2. Staatsexamen und Bewerbern ohne 2. Staatsexamen unterschieden werden. Für letztere haben sich die Chancen für Vertretungsstellungen, für die Dauer und Rahmenbedingunen und für Chancen auf eine dauerhafte Übernahme besonders verschlechtert. Indizien sprechen dafür, dass hinter der veränderten Einstellungspraxis nicht die einstellenden Schulen, sondern die in Finanznöten befindenden Bezirksregierungen und das Schulministerium unter Slyvia Löhrmann (Grüne) stehen. Der Beitrag hier beruht auf Erfahrungen und Erzählungen von Vertretungslehrern, auf Gesprächen mit Schulpolitikern des Landes und bietet Thesen sowie erklärende Ansätze für Ursachen. Er soll jenen helfen, die bereits als Vertretungslehrer arbeiten oder sich als solche bewerben wollen.

Die Chancen für Bewerber mit 2. Staatsexamen sind im letzten Jahr gestärkt worden. Diese StEx-Vertretungslehrer werden durch verschiedene Regelungen bevorzugt, wodurch eine deutlich verstärkte Diskriminierung selbst von erfahren, bereits im Schuldienst eingestellten Vertretungslehrern erfolgt. Hinzu kommen wahrnehmbar Budget-Probleme der Landesregierung. Im Einzelnen:

  1. Stellen werden bevorzugt an StEx-Lehrer vergeben. Für diese und damit auch Referendare, die zunächst keine feste Lehrerstelle gefunden haben, hat dies die Chancen verbessert. Selbst bei weniger Berufserfahrung und objektiver schlechterer Eignung sind diese nun immer bevorzugt einzustellen. Eine Stelle muss mindestens 2 Wochen ohne Bewerber mit 2. Staatsexamen bleiben, um mit einem Nicht-StEx-Lehrer besetzt zu werden. Darüber hinaus dürfen die mit Nicht-StEx-Lehrern besetzten Stellen regelmäßig nur bis zum Schulhalbjahr besetzt werden, um im Rahmen einer erneuten Stellenausschreibung Bewerbern mit StEx eine neue Chance zu bieten. Dies führt zu weitreichenden Konsequenzen für Nicht-StEx-Lehrer, Schulen und Schüler. Im Einzelnen:

  2. Aufgrund der Wartezeit von 2 Wochen bekommen Nicht-StEx-Lehrer nur Stellen angeboten, für die sich StEx-Lehrer aus diversen Gründen nicht interessieren. Diese Gründe sind:
    1. Schulen in sozialen Brennpunkten, Gymnasien weniger als Gesamtschulen und Realschulen, bieten bessere Chancen. StEx-Lehrer meiden diese Schulen.
    2. Schulen in ländlichen Gegenden haben es auch im Vertretungsbereich schwieriger StEx-Lehrer anzuziehen. Insbesondere in Universitätsstädten gibt es regelmäßig genügend StEx- und StEx-Vertretungslehrer. Da die Chancen in ländlicheren Gegenden und am Ballungsrand besser sind, bedeutet dies für Nicht-StEx-Lehrer aus Ballungsräumen im Schnitt weite – und weitere – Anfahrtswege.
    3. StEx-Lehrer bevorzugen volle Stellen und Stellen über das ganze Schulhalbjahr, so dass für Nicht-StEx-Lehrer nur Teilzeitverträge bleiben und solche, die vor dem Ende des Schulhalbjahres enden. Beim Übergang von Mutterschutz zu Elternzeit der Vertretenen müssen Nicht-Stex-Lehrer damit rechnen, dass ihre Stelle überhaupt oder mindestens zum Halbjahresende neu ausgeschrieben wird.

  3. Vertretungslehrer dürfen befristet eigentlich nur für konkrete Vertretungsbedarfe eingestellt werden. Aber selbst wenn dieser Vertretungsbedarf über die angebotene Zeit der Vertretungsstelle hinaus geht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Stelle für den Zeit des Mutterschutzes, der Elternzeit oder auch eines Sabattjahres hinaus, bereit steht. Für StEx-Lehrer werden – wie bereits angeführt Stellen von Nicht-StEx-Lehrern – unterjährig offenbar neu ausgeschrieben, um StEx-Lehrer zu bevorzugen. Dies verkürzt die Zeiten der Beschäftigung von Nicht-StEx-Lehrern.
  4. Auch die Budget-Beschränkungen scheinen zu Verzögerungen bei der Einstellung und für kürze Beschäftigungszeiten zu sorgen als eigentlich erforderlich. Der Grund: Vertretungslehrern, die zum 1. Februar und damit zum Beginn des Schulhalbjahres nicht im Schuldienst sind (Der 1. Februar 2015 ist ein Sonntag!), haben keinen Anspruch auf Gehaltsfortzahlung in den anschließenden Sommerferien, es sei denn sie haben einen Anschlussvertrag direkt am ersten Schultag nach den Sommerferien (Brief an Regierungspräsidenten in solchen Fällen!).

    Dies ist für Nicht-StEx-Lehrer weniger wahrscheinlich, da ihre Stellen ja erst zwei Wochen nach der erfolgten Ausschreibung unbesetzt sein müssen. Dadurch werden die Budgets des Landes für Vertreungslehrer entlastet, ebenso durch den Umstand, dass nach 4 Wochen ohne Vertrag im öffentlichen Dienst kein Anrecht auf Fortführung erworbener Entgeltstufen besteht – Vertretungslehrer fangen gehaltsmäßig nach einer Unterbrechung von vorne an.
    Die Bezirksregierung Düsseldorf scheint dabei besonders langsam zu arbeiten, so dass durch den Lauf der Akten in der Behörde und zum Personalrat schon’mal wochenlang unterwegs sind. Etwas schneller scheint es in Münster und in Arnsberg zu gehen. In Arnsberg scheint der Personalrat sich seltener mit derartigen Einstellungen zu befassen.

  5. Dadurch ist es für Nicht-StEx-Lehrer schwieriger geworden, nahtlos beschäftigt zu werden. Aber nicht nur die kurzzeitige Arbeitslosigkeit ist ein Problem bzgl. der Bezahlung, auch potentielle Chancen zur Einklagung in eine Dauerbeschäftigung aufgrund von Kettenverträgen werden dadurch deutlich erschwert.
  6. Chancen für Nicht-StEx-Lehrer zur permanenten Übernahmen in den Schuldienst bestehen nur noch in MINT-Fächern, naturwissenschäftliche Fächer. Die Aussichten für andere Fächer und Muttersprachler scheinen derzeit gegen Null zu gehen. Erfolgte überraschende Ausschreibungen von Seiteneinsteigerstellen beruhen aus Erfahrung aus falscher Bedienung des LOIS-Systems für derartige Stellen. Auf derartige Stellen herrscht dann immer gleich ein Ansturm, der auf einem Eingabefehler der Schulen beruht. Bemerkenswerterweise nimmt LOIS auch keine neuen Registrierungen von Bewerbern an, die keine Naturwissenschaften oder Mathematik unterrichten. Diese Nicht-MINT’ler werden nach zwei Jahren im System gelöscht und können ihre Registrierung nicht verlängern.

    Für diejenigen Nicht-StEx-Lehrer, die sich seit Jahren als Vertretungslehrer verdingen, um in den permanenten Schuldienst regulär übernommen zu werden, hat sich das als Irrweg erwiesen. Sie hatten im Vertrauen auf eine permanente Übernahme, den Weg des Vertretungslehrers eingeschlagen und müssen sich betrogen fühlen, da der Weg geschlossen ist. Es gibt faktisch keine Stellen zur Übernahme.

  7. Die Chance auf Übernahme in eine Stelle als Seiteneinsteiger sind auch deshalb gering, da die Schulen die Bewerber für den Unterricht an Studienseminaren freistellen müssen, dafür aber keine Entlastungsstunden erhalten.

Für die Bezirksregierung ist das hire and fire von Vertretungslehrern angenehmer, als Lehrer gegen Widerstände zu versetzen. Dabei müssten auch die Wohnorte der betroffenen Lehrkräfte berücksichtigt werden, was bei „Neueinstellungen“ nicht notwendig ist. Vertretungslehrer müssen nehmen, was angeboten wird. Gegenüber fest angestellten Vertretungslehrern (einer Vertretungsreserve) sind sie preiswerter.

Fazit: Chancen für Vertretungslehrer mit 2. Staatsexamen und prekäre Jobverhältnisse für Nicht-StEx-Lehrer

Die Chancen für Lehrkräfte mit 2. Staatsexamen zur Überbrückung bis zur permanenten Einstellung in den Schuldienst sind gut. Prekär ist die Situation für Lehrkräfte ohne Staatsexamen.

Der Zahl der über längere Zeit, aber mit Unterbrechungen beschäftigten Vertretungslehrer wird von externen auf etwa 1.000 landesweit geschätzt. Parlamentarische Anfragen dazu quittiert das grün regierte Schulministerium mit dem Hinweis, dass keine Statistiken dazu geführt würden. Vertretungslehrer ohne 2. Staatsexamen müssen mit kurzen und unter-halbjährigen Verträgen, Zeiten der Nicht-Beschäftigung und starken Schwankungen im zeitlichen Beschäftigungsumfang leben. Selbst bestimmt von seiner Arbeit leben, ist so nicht möglich. Zudem pendeln diese Lehrkräfte permanent zwischen Arbeitsamt und Schulen, an denen sie sich um neue Stellen bewerben. Da sich bei der Arbeitsagentur drei Monate vor Vertragsende arbeitssuchend gemeldet werden muss, stehen Vertretungslehrer spätestens zu Ostern oder zum Ende der Herbstferien unnütz auf dem Amt herum.

Schüler und Eltern müssen durch diese Praxis der Bezirksregierungen häufiger Lehrer wechseln, als es bisher der Fall war.


Siehe auch Beitag „Vertretungslehrer NRW: Lückenbüßer und Fußabtreter“ (14. April 2014)

6 Comments

6 Comments

  1. Pingback: Gehalt von Vertretungslehrern in NRW

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  3. Rosalie

    7. April 2017 at 15:22

    Ganz ehrlich, ich als Vertretungslehrerin, die ein jahrelanges Studium hinter sich hat, stehe hinter der Bevorzugung von vollständig ausgebildeten Lehrkräften mit 2. Staatsexamen. Dass Seiteneinsteiger, die jahrelang an einer Schule tätig waren zum Halbjahr entlassen wurden, um Junglehrer ohne nennenswerte Erfahrung einzustellenden, habe ich an noch keiner Schule erlebt!
    Zudem ist es in jedem Berufsfeld so, dass man bevorzugt eingestellt wird, wenn man die dazugehörige Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.
    Viel prekärer finde ich die Situation für fertig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die sich, trotz guter Noten, von einer Vertretungsstelle zur nächsten hangeln müssen, um über die Runden zu kommen, trotz jahrelanger schwieriger und teurer Ausbildung. Die Bezirksregierungen bzw. das Land spart dirch jeden Vertretungslehrer, der dieselbe Arbeit wie verbeamtete Kollegen, pro Jahr tausende Euro. Das ist der wahre Grund, warum Schulen keine Stellen ausschreiben dürfen, obwohl sie einen Stellenunterhang haben.
    Daher bin ich froh, dass ich wenigstens auf dem Vertretungsstellenmarkt Chancen habe, denn als Lehrkraft kann man, im Gegenzug zu Seiteneinsteigern, nicht einfach so in der freien Wirtschaft arbeiten.

  4. Rosalie

    7. April 2017 at 15:25

    Ich bitte die Rechtschreibfehler zu verzeihen, der Kommentar sollte so eigentlich noch nicht abgeschickt werden. :-/

  5. natascha

    4. September 2017 at 11:28

    Daher bin ich froh, dass ich wenigstens auf dem Vertretungsstellenmarkt Chancen habe, denn als Lehrkraft kann man, im Gegenzug zu Seiteneinsteigern, nicht einfach so in der freien Wirtschaft arbeiten.

    Nun ja??? Das liegt wohl an der inneren Einstellung und was noch von viel größerer Bedeutung ist: was macht ein Mensch bei jungen Menschen, die er führen soll, wenn er das was er vermitteln soll, nämlich die Arbeitsfähigkeit in der freien Wirtschaft, nach eigener Aussage nicht beherscht.

    Da liegt das scheitern des Schulssystemns. Denn aus diesem System kommen wieder die nächsten Lehrer und die nächsten……

    Für dumme :
    Das Bewerben auf eine Lehrerstelle ist nicht anders als die Bewerbung auf jede andere Stelle. Der Unterschied ist nur, das in der freien Wirtschaft sich jeder auf alles bewerben darf. Im öffentlichen Dienst eben nur innerhalb von Laufbahnen (Ausnahme ab B Gehalt).
    Somit ist eine Bewerbung in der „freien Wirtschaft“ einfacher da man hier nicht alle Qualifikationen nachweisen muss. Das drückt natürlich den Marktwert.
    Deshalb heisst das ja auch arbeitsMARKT.

  6. Rosalie

    10. Juni 2018 at 15:49

    Zitat: Nun ja??? Das liegt wohl an der inneren Einstellung und was noch von viel größerer Bedeutung ist: was macht ein Mensch bei jungen Menschen, die er führen soll, wenn er das was er vermitteln soll, nämlich die Arbeitsfähigkeit in der freien Wirtschaft, nach eigener Aussage nicht beherscht.

    Entschuldigen Sie bitte, aber was ist an meiner inneren Einstellung nicht in Ordnung, wenn ich gerne in dem Beruf arbeiten möchte, für den ich mich entschieden habe und in dem ich ausgebildet wurde?
    Zudem habe ich mit keinem Wort erwähnt, dass ich nicht dazu fähig bin, in der freien Wirtschaft zu arbeiten. Ich habe mein ganzes Studium mit den unterschiedlichsten Jobs in diversen Berufsfeldern finanziert und bin daher alles andere als weltfremd.
    Es ist jedoch de facto so, dass man als Lehrer sehr spezifisch ausgebildet wird und es relativ schwer hat, außerhalb des öffentlichen Dienstes eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu finden, in der die eigenen Fähigkeiten sinnvoll genutzt werden können. Für mich käme z.B. eine Tätigkeit in einem Verlag oder eine Arbeit als Fremdsprachenkorrespondentin in Frage. Allerdings werden für diese Berufe, verständlicherweise, Bewerber mit einer dementsprechenden Ausbildung bevorzugt.
    Außerdem wäre dann ein Aspekt, aufgrund dessen ich Lehrerin geworden bin, nicht abgedeckt. Ich möchte jungen Menschen meine Fächer näherbringen und mithelfen, sie zu selbstständig denkenden, kritischen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. Ich möchte sie fordern und fördern und für sie da sein, wo es ihre Elternhäuser nicht vermögen.
    Und daher stehe ich weiterhin dazu, dass Bewerber, die sich aktiv für diesen Beruf entschieden und eine jahrelange Ausbildung hinter sich haben, bei der Stellenbesetzung bevorzugt werden.
    Mich erschreckt es wirklich, wie schnell man hier als unfähiger Fachidiot, der keine Lebenserfahrung hat, abgestempelt wird.
    Außerdem ist eine Bewerbung auf eine Lehrerstelle deutlich anders geregelt als in der freien Wirtschaft, da hier die einzelnen Bezirksregierungen entscheiden und nicht etwa die Schulleiter, die einen gerne einstellen möchten. Da geht es oft weniger um Fähigkeiten und Engagement, sondern lediglich um die Sparmaßnahmen des Landes. Denn Vertretungslehrer sind einfach kostengünstiger. Das ist der Fehler des Systems, der dafür sorgt, dass Vertretungskräfte weiterhin als Lehrkräfte zweiter Klasse angesehen und oft ausgebeutet werden.
    Bevor man sich eine Meinung über einen Berufsstand bildet, sollte man sich daher erst umfassender informieren.

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